Bei Krieg und Frieden endet schulische Neutralität

Karriereberatung der Bundeswehr verstößt gegen Schulrecht

Besuche der Bundeswehr sind Pflichtstunden an vielen Schulen. Friedensbildung sollte gerade deshalb Kernkompetenz von Pädagog*innen bleiben. Im Interview erzählt Friedensaktivist Bernhard Trautvetter wie und warum er sich für eine Schule ohne Bundeswehr einsetzt.
Bei Krieg und Frieden endet schulische Neutralität

Foto: Contrastwerkstatt/Fotolia

Der Kooperationsvertrag des NRW-Schulministeriums mit der Bundeswehr ist noch immer gültig. Warum wird aus Ihrer Sicht weiterhin an dem Vertrag festgehalten?

Seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, muss die Bundeswehr um Nachwuchs werben. Die Zahl der Soldat*innen verringerte sich zwischen 2009 und 2013 etwa um ein Viertel. Für das Militär ist der Einfluss auf die junge Generation von vordringlichem Interesse, um den Einfluss von Friedenskräften auf Kinder und Jugendliche zurückzudrängen. Erst letztes Jahr gab es Medienberichte, dass der Bundeswehretat für gezielte Personalwerbung auf knapp 24 Millionen Euro angehoben wurde. 2010 lag er noch bei rund fünf Millionen Euro. Hinzu kommen weitere Werbungskosten wie die für riesige Werbeplakate und Werbefeldzüge in der Jugendzeitschrift „Bravo“.

Es geht dabei nicht nur um Personalgewinnung, sondern auch um eine breitere Unterstützung für alles Militärische in der Bevölkerung – gerade wenn es um die Pläne der NATO geht, Ausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Davon könnten viele soziale und ökologische Projekte sowie Bildungsprojekte finanziert werden. Damit es keine breite Unterstützung für Forderungen in diese Richtung gibt, braucht die Armee Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Wenn die Einflussnahme des Militärs nachhaltig wirken soll, muss sie schon bei Teenager*innen losgehen. Das ist wohl eine der Absichten der Kooperationsvereinbarung.

Die Bundeswehr setzt viele Mittel ein, um neue Soldat*innen über Medien zu gewinnen, zum Beispiel mit der Youtube-Serie „Die Rekruten“. Geht es bei den Schulbesuchen auch um Rekrutierung?

Ja, ich habe das selbst bei einem Besuch der selbsternannten Karriereberater in einem Berufskolleg erlebt. Der Bundeswehrvertreter zeigte eine Folie über sogenannte Vorteile des Wehrdienstes für Soldat*innen. Hier war die Rekrutierungsabsicht unübersehbar. Ich schritt ein und wies auf das Werbeverbot in Schulen hin. Durch den Eingriff verhinderte ich einen Bruch der Schulrechtsvorschriften.

Friedensbewegungen haben zu wenig Kapazitäten und Mittel, um ähnlich präsent wie die Bundeswehr in den Schulen zu sein. Wie geht das mit dem Beutelsbacher Konsens zusammen, der Kontroversität und freie Meinungsbildung als Grundprinzip für politische Bildung festlegt?

In der Tat hat die Friedensbewegung nicht den gleichen Etat zur Verfügung, den die Bundeswehr hat. Es geht mir aber nicht nur um das Kontroversitätsgebot und Überwältigungsverbot aus dem Beutelsbacher Konsens, der bei einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg entstanden ist. Bei Fragen von Krieg und Frieden endet die Unentschiedenheit schulischer Neutralität. Paragraf 2 im Schulgesetz legt fest: „Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.“

Nun sagt die Bundeswehr, dass man den Frieden verteidige. Dazu verweise ich auf die Tatsache, dass NATO und Bundeswehr vom Golf bis Nordafrika und den Balkan in einige völkerrechtlich problematische Eskalations- und Gewaltprozesse einbezogen waren und sind. Damit meine ich auch die nukleare Teilhabe. Für die Friedensbildung sind zu allererst die Pädagog*innen zuständig. Sie ohne sachfremde Einflüsse entsprechend auszubilden ist Aufgabe einer politischen Bildung, die die Verfassung achtet.

Wie gestalten Sie als Friedensaktivist einen Unterrichtsbesuch?

Ich gehe vom Verfassungstext aus und frage Schüler*innen, ob er die Bedürfnisse der jungen Menschen trifft, was sie anders schreiben würden und was das für Schule und sie selbst heißt. Ich suche gerne mit Schüler*innen nach gewaltfreien Konfliktlösungsmodellen – etwa der gewaltfreien Kommunikation. Daraus ergibt sich, dass es keine nachhaltige Lösung ohne Verhandlungen und Interessensausgleich gibt. Bei Sieg und Niederlage entsteht kein Frieden. Das führt weiter zu den Friedensaufgaben von Systemen kollektiver Sicherheit wie der United Nations Organization, kurz UNO, und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE. Wenn wir im Unterricht die Bemühungen um eine Welt ohne Nuklearpotenziale erarbeiten, vertieft sich die Friedenshaltung der Schüler*innen oft spürbar und nachhaltig.

Welche Möglichkeiten haben Schüler*innen, wenn sie nicht an den Unterrichtsstunden mit der Bundeswehr teilnehmen wollen?

Es ist gut, wenn die Schulkonferenz beschließt, dass die Friedensbildung Aufgabe der Pädagog*innen ist und nicht die der Gastreferent*innen des Militärs. Wenn die Schule so einen Beschluss nicht hat, kann die Schüler*innenvertretung auf den Prozess Einfluss nehmen. Gut ist es auch, kritische Fragen etwa zur Nuklearrüstung, zu den Völkerrechtsverletzungen der NATO – zu der die Bundeswehr gehört – und zur Atomrüstung vorzubereiten. Auch das Problem der posttraumatischen Belastungsstörung, die schon viel zu viele Soldat*innen nachhaltig und massiv erkranken ließ, ist wichtig.

Die Fragen stellte Jessica Küppers, Redakteurin im NDS Verlag