Mit dem sogenannten Radikalenerlass – 1972 auf einer Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt beschlossen – wurde die Politik der Berufsverbote auch in NRW eingeleitet. Was folgte, war die größte Welle politischer Repression gegen politisch linke und fortschrittliche Kräfte durch Politik und Justiz in der Bundesrepublik Deutschland.
Über 3.000 Betroffene bundesweit
Mittels einer „Regelanfrage“ des Verfassungsschutzes wurde versucht, Personen aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten oder zu entfernen, denen man unterstellte, „nicht die Gewähr dafür (zu) bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“. Die erschütternde Bilanz: 3,5 Millionen Überprüfungsverfahren zur Feststellung der „politischen Zuverlässigkeit“, die letztlich bundesweit in 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen mündeten.
Erlass wirkt bis heute nach
Die Folgen des Erlasses waren gravierend: Den Betroffenen nahm er die Existenz – zum Teil bis heute – und setzte sie durch ständige Anhörungen und weitere Verfahren unvorstellbaren Repressalien aus. Gleichzeitig veränderte der Erlass das politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland in bedrückender Weise: Duckmäusertum und Spitzelei wurden gefördert.
Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 ein Verstoß gegen die Europäische Konvention für Grund- und Menschenrechte feststellte, wurde der Erlass bisher nicht offiziell zurückgenommen. Eine Rehabilitation der Betroffenen hat in den meisten Fällen bis heute nicht stattgefunden.
Heute müssen wir feststellen: Die Haltung, die damals zum Erlass und zu den Berufsverboten führte, wirkt im gesellschaftlichen Klima immer noch nach – fast 50 Jahre später. Auch heute wird Menschen der Zutritt zum öffentlichen Dienst verwehrt. Auch heute gibt es politische Denunziation und Hetze – im Netz und auf der Straße.
Das Unrecht von gestern darf nicht in Vergessenheit geraten und auch heute müssen wir wachsam sein und uns wehren. Zeigen wir uns solidarisch mit allen Betroffenen und machen wir uns für eine Wiedergutmachung stark. Das ist unser Auftrag als GEW.
GEW blickt selbstkritisch zurück und entschuldigt sich
Wir dürfen nicht vergessen: Auch die GEW war damals nicht gemeinsam und entschieden gegen das Unrecht. Vielmehr hat es in den 1970-er Jahren Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Denunziationen gegeben, die dazu führten, dass bis 1977 immerhin 204 Mitglieder wegen Verstoßes gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse aus der GEW ausgeschlossen wurden.
Diese Menschen sind von ihrer Gewerkschaft damals in Stich gelassen worden. Dafür entschuldige ich mich von ganzem Herzen. Dank gebührt denen, die auch die GEW immer wieder an ihre Geschichte erinnert haben und von uns eingefordert haben, unsere Rolle aufzuarbeiten – auf der Bundesebene und in den Landesverbänden der GEW.
In Nordrhein-Westfalen haben wir bereits seit der letzten Legislaturperiode mit den demokratischen Landtagsfraktionen das politische Gespräch gesucht, um sie zu einem entsprechenden Vorstoß im Landtag zu bewegen. Wir sind guter Hoffnung, dass dieses Bemühen endlich politisch Früchte trägt und mit einer fraktionsübergreifenden Initiative den Betroffenen von damals Wiedergutmachung und politische Rehabilitation zuteil wird.
„Schluss mit dem Elend der Berufsverbote“
Herta Däubler-Gmelin, ehemals Bundesministerin der Justiz, fordert bei der Veranstaltung der GEW NRW in Wuppertal am 11. Februar 2020: „Schluss mit dem Elend der Berufsverbote!“ Und auch wir als Bildungsgewerkschaft haben klare Erwartungen an die Politik, die wir 2019 in einem Beschluss des Gewerkschaftstages gebündelt haben:
- Die GEW NRW bewertet den Radikalenerlass und die darauf beruhende Politik der Berufsverbote als verhängnisvollen politischen Fehler.
- Die GEW fordert von der Politik eine grundsätzliche Aufarbeitung des durch Berufsverbote entstandenen Unrechts.
- Die GEW NRW erwartet von der Politik, diese Fehlentscheidung einzugestehen und Vorschläge für Rehabilitationsmaßnahmen und Entschädigungsleistungen vorzulegen.
- Die GEW NRW fordert einen Beschluss des Landtages NRW, die Betroffenen der unrechtmäßigen Berufsverbote in Nordrhein-Westfalen umfassend zu rehabilitieren.
Maike Finnern, Vorsitzende der GEW NRW