Bildung in Zeiten von Krieg

Lehren und lernen in einer modernen Ukraine

Das ukrainische Bildungssystem unterläuft derzeit intensive und dramatische Veränderungen. Es ist eng verbunden mit nationalen Werten und der Weltanschauung der ukrainischen Gesellschaft.
Ukraine: Bildung in Zeiten von Krieg

Foto: Andrey Fo/Fotolia

Grundsätzlich durchlaufen Lernende im ukrainischen Bildungssystem bis zu fünf Stufen: die Vorschule, die Grundschule, die weiterführende Schule bis hin zum Abitur und darauffolgend eine Hochschulbildung sowie mögliche Weiterbildung. Seit 2008 sind unabhängige externe Beurteilungen von Schüler*innen Voraussetzung für den Eintritt in höhere Bildungseinrichtungen. Ab September 2018 wird die bisher obligatorische zwölfjährige weiterführende Schulbildung durch eine elfjährige abgelöst werden. Als Studienort ist die Ukraine insbesondere bei asiatischen und afrikanischen Student*innen beliebt. Aktuell gibt es mehr als 63.000 Studierende aus 130 Ländern.

Ukrainisch oder Russisch: Es beginnt mit der Unterrichtssprache

Ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung spricht Russisch als Muttersprache. Logischerweise sollte dies Grund genug sein, dass die vorherrschende Sprache in Schulen und Hochschulen Russisch ist. Studien des Razumkoy Centre belegen für das akademische Jahr 1991/1992, dass 49 Prozent der Highschool-Student*innen in der ukrainischen und 50 Prozent in der russischen Sprache unterrichtet wurden.

Bis heute – also fast 30 Jahre später – wurde der Anteil der russischsprachigen Bildungseinrichtungen auf 5,9 Prozent reduziert. Diese Trends zeigen, wie tief die ukrainische Bildung politisiert ist, besonders nach der politischen und militärischen Krise 2014.

Das Bildungssystem in den selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk weist spezifische Eigenschaften auf. Im Gegensatz zum ukrainischen Bildungssystem ist hier Russisch die dominante Sprache. Donbass war schon immer eine russischsprachige Region. Gleichzeitig wird Ukrainisch an Schulen und Hochschulen gelernt.

Geteiltes Land, gespaltete Bildungseinrichtungen

In 2014 sind einige Student*innen sowie Lehrer*innen und Dozent*innen aus Donbass in andere ukrainische Städte gezogen. Dieser Prozess war durch die ukrainische Regierung initiiert worden, nachdem militärische Aktionen im Osten des Landes ausgebrochen waren und sich neue selbsternannte Staaten herausgebildet hatten.

Ergebnis dieses geografischen Paradoxons sind die Donetsk National University in Vinnitsa, einer Stadt in der West-Ukraine, oder die Donetsk National Technical University in Pokrovsk. Diese Spaltungen sind eine Tragödie in der Geschichte der Bildungseinrichtungen und im Leben der Menschen, deren Schicksal eng damit verbunden ist.

Gewerkschaften übernehmen wichtige Rolle in der Krise

Eine große Rolle bei der Integration, bei der Eindämmung von Panik innerhalb des pädagogischen Personals sowie für die Aufrechterhaltung des Bildungssystems spielten die Gewerkschaften. Die meisten Lehrer*innen und Dozent*innen sowie Studierende blieben in ihren Heimatstädten, obwohl die ukrainische Regierung jegliche Zahlungen von Gehältern und Stipendien in diesem Gebiet eingestellt hatte und keine ukrainischen Abschlüsse mehr vergab.

Darüber hinaus wurden vielen Dozent*innen, die in Donbass geblieben sind, ihre wissenschaftlichen Titel entzogen. Manche Menschen mussten ihre Häuser verlassen – nicht aus politischen oder ideologischen Gründen, sondern wegen der kontinuierlichen Bombenangriffe.

Funktionierendes Bildungssystem trotz Krise

Abgesehen vom andauernden Krieg funktioniert das Bildungssystem heutzutage erfolgreich. Die Arbeit von Kindergärten, Schulen, Colleges und Hochschulen sowie anderen Bildungseinrichtungen wurde wieder hergestellt. Viele Studierende, nicht nur aus den heutigen Republiken Donezk und Lugansk, sondern auch aus Russland und der Ukraine besuchen heute die dortigen Hochschulen.

Viele wissenschaftliche Gremien arbeiten in den Republiken. Die meisten Hochschulen publizieren ihre eigenen wissenschaftlichen Journale und organisieren internationale wissenschaftliche Projekte sowie Bildungsprojekte. Im Gegenzug haben Gäste aus Russland, Weißrussland, Frankreich, Italien, Deutschland und anderen Ländern einen immer aktiveren Anteil am wissenschaftlichen Leben.

Wertesystem für eine noch bessere Zukunft von Bildung und Wissenschaft

Grundsätzlich versuchen Dozent*innen und Wissenschaftler*innen in Donbass eine Weltanschauung und ein Wertesystem zu entwickeln, um die Krise in der Ukraine zu lösen. Sie schaffen notwendige Bedingungen für einen Dialog und kulturellen Fortschritt in der Region, die im Land in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Industrie immer als hoch entwickelt galt.

Aber sicherlich sind diese Bemühungen nicht ausreichend, um den tiefen und sehr komplexen Konflikt beizulegen, der eine Vielzahl von Aspekten beinhaltet – von Werten und nationaler Mentalität bis hin zu globaler Ökonomie und geopolitischen Interessen.

Elena Andriyenko, Philosophieprofessorin aus Donezk

Aus dem Englischen übersetzt von Caroline Flügel, Lehramtsstudentin Englisch, mit Unterstützung von Manfred Diekenbrock, Leitungsteam im Referat Gewerkschaftliche Bildung der GEW NRW