Demokratie lebt vom kontroversen Austausch

Jugend debattiert: Ein Erfahrungsbericht von Landessieger Louis Kruse

Der Zehntklässler Louis Kruse hat es bei „Jugend debattiert“ bis ins Landesfinale geschafft. Er erzählt, was er fürs Demokratielernen mitgenommen hat und warum kontroverser Austausch fundamental ist.
Demokratie lebt vom kontroversen Austausch

Louis Kruse beim Landesfinale im Düsseldorfer Landtag. Foto: Michael Reil

Jugend debattiert – ein Projekt, bei dem junge Schüler*innen durch ein kontroverses aber sachlich geprägtes Streitgespräch zu einer freien und mündigen Meinungsbildung Dritter beitragen sollen. Doch welche Rolle nimmt man dabei als Schüler*in ein – findet sich die*der Einzelne wirklich nur in der Rolle der Weitergabe von Informationen wieder? Nein, bei Weitem nicht! Ich denke, diese Rolle übernimmt die*der Schüler*in eben nur in der Vorbereitung auf das jeweilige Thema, das zehn Tage vor dem jeweiligen Wettbewerbstag bekannt gegeben wird.

Konkurrent*innen lernen voneinander bei „Jugend debattiert“

Nach Schul- und Regionalwettbewerb stand bei mir der erste „Preis“ in Form eines Regionalsiegerseminars vor der Tür. Damit ging aber auch eine signifikante Änderung einher – Regeln wurden präziser, die Aufgaben der einzelnen Redner*innen prägnanter und komplexer.

Gleichzeitig durfte man die anderen Debattant*innen kennenlernen – ebenfalls alles Sieger*innen aus den anderen Regionalwettbewerben. Obschon der eigentlichen Konkurrenzsituation war diese im Endeffekt doch eigentlich kaum zu spüren. Wir lernten uns gegenseitig kennen, konnten voneinander profitieren und verbrachten drei erlebnisreiche Tage in Dahlem in der Eifel miteinander, die natürlich von den Schwerpunkten der Diskussionen geprägt waren.

Große Herausforderung: Zwölf Positionen in zehn Tagen erlernen

Schließlich stand am 3. Mai 2019 die Landesqualifikation vor der Tür – der erste Freitag nach den Ferien. Und – man ahne es, wenn ich an die Vorbereitungszeit zurückdenke – die drei Themen, von denen nur zwei in der Qualifikation debattiert wurden, erhielt ich erst in den Osterferien.

Die Motivation, sich auf insgesamt zwölf mögliche Positionen vorzubereiten, war logischerweise zunächst äußerst gering. Doch das ist es, was den Wettbewerb auf eine spezielle Art und Weise so besonders macht. Natürlich hat jede*r Debattant*in ganz persönliche Präferenzen, welche Position man in welcher Debatte aufgrund der eigenen Meinung oder den gesammelten Argumenten gerne vertreten würde. Jedoch kommt es meistens eben genau andersherum. Dann gilt es, das Erlernte unter Beweis zu stellen – die letzten Minuten vor Debattenbeginn laufen, die wichtigsten und prägnantesten Argumente versucht man sich einzuprägen und schließlich die persönliche Meinung für die nächsten 24 Minuten hintenanzustellen.

In der Debatte ist die Anspannung schnell vergessen und alle geben ihr Bestes

Immer wieder erstaunens- und bemerkenswert ist, dass die vor der Debatte unter Umständen ziemlich große Anspannung meistens recht schnell während der Diskussion weicht, wie viele der anderen Debattant*innen mir bestätigen konnten. Das mag vor allem daran liegen, dass man sich untereinander kennt und im Vorfeld Absprachen über den Debattenverlauf hat treffen können.

Schließlich ist auch schon wieder alles vorbei – und doch geht alles wieder von vorne los: die Anspannung steigt, Gedanken über die persönliche Einschätzung und die Abwägung gegenüber der Leistung der anderen Debattant*innen beginnen wild ihren Lauf zu nehmen. Und doch ist allen klar, dass man es selbst nicht mehr in der Hand hat und viele andere es ebenso verdient hätten.

Debatte um die Frauenquote kommt auch bei „Jugend debattiert“ an

Nach dieser nervenaufreibenden Entscheidung ging es für mich am Mittwoch, 8. Mai 2019, im Düsseldorfer Landtag weiter. „Sollen bei Wahlen zum NRW-Landtag die Parteien dazu verpflichtet werden, auf den Landeslisten gleich viele Männer und Frauen als Kandidaten aufzustellen?“, war die an diesem Tag gestellte Frage. Jedem von uns war bekannt, dass es voll sein und ein äußerst besonderes Erlebnis werden würde.

Trotz des Selbstbewusstseins aller Debattant*innen war die Situation im vollen Plenarsaal nach den Proben doch eine ganz andere: Reden wurden gehalten und die Tragweite jenes Tages sowie die daraus resultierende Anspannung wurden greifbar – jede*e einzelne Schüler*in war an diesem Tag irgendwie ein*e Sieger*in. Mehr als 40.000 von ihnen haben in diesem Jahr in NRW an dem Wettbewerb „Jugend debattiert“ teilgenommen – aber nur zwei in jeder Altersstufe haben das Ticket für die Bundesfinaltage und das vorgeschaltete Landessiegerseminar lösen können.

Davon lebt die Demokratie!

Am Ende hatten wir eine äußerst lebhafte, aber sehr faire Debatte, die ohne das Bemühen aller nicht möglich gewesen wäre. Auch, wenn am Ende nicht alle Teilnehmer*innen nach Berlin fahren können, sind sich alle einig, dass es ein unfassbares Erlebnis war. Für mich geht es nun vom 20. bis 22. Juni in Berlin weiter, sodass viele weitere einzigartige Erlebnisse mit großartigen Menschen hinzukommen können.

Alle Finalist*innen und Teilnehmer*innen konnten eine große Unterstützung von ihren Schulen und Freund*innen erfahren. Folglich also ganz getreu dem Motto: Nur gemeinsam sind wir stark. Dass alle unter uns etwas zum Erhalt einer starken Demokratie beitragen müssen, ist sicher nach meiner Teilnahme an „Jugend debattiert“ noch deutlicher geworden. Denn davon lebt die Demokratie – gemeinsam in den sachlich kontroversen Austausch zu gehen, scheint heute fundamentaler als fast je zuvor.

Louis Kruse, Schüler am Theodor-Heuss-Gymnasium in Waltrop