Entlastung statt Mehrarbeit

Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel

Um auf den grassierenden Lehrkräftemangel zu reagieren, gibt es Überlegungen, das System der Vorgriffstunden wiederzubeleben. Mehr Belastungen schaffen, um Belastungen zu verringern? Das ist für die GEW NRW der falsche Weg.
Entlastung statt Mehrarbeit

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Als in den 90er-Jahren auch ein enormer Lehrkräftemangel herrschte, wurde mit den Vorgriffsstunden eine Maßnahme eingeführt, mit der besonders junge Lehrkräfte über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren Mehrarbeit leisteten, die danach wieder abgebaut werden konnten. Mit einem solchen Vorstoß meinen nun manche auf den gegenwärtigen Lehrkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch weiter zuspitzen wird, angemessen zu reagieren. Also mehr Belastungen für viele, um die Belastungen zu reduzieren? Das ist ein Irrweg. Völlig übersehen wird bei diesem Vorschlag, dass die Arbeit als Lehrkraft nicht attraktiver wird, wenn eine Stundenaufstockung diskutiert wird. Statt für mehr Attraktivität zu sorgen und Verbesserungen durchzusetzen, schreckt man nicht nur Lehramtsstudierende ab, sondern erhöht die Belastung der Beschäftigten weiter. 

Die Devise muss lauten: Entlastung, nicht Mehrarbeit 

Für die GEW NRW ist klar: Der Fachkräftemangel darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Als Lösung des Fachkräftemangels Stundenaufstockungen anzubieten, ist zu kurz gedacht und unkreativ. Mangel kann nicht mit Mehrarbeit bekämpft werden. Die Devise kann nicht lauten: (Noch) Mehr Arbeiten! Das ist keine Lösung dafür, dass sich die Problembereiche aus zu hoher Belastung und Fachkräftemangel gegenseitig verstärken. Es führte nur dazu, dass die zusätzliche Belastung den Fachkräftemangel verstärkt– denn Überbelastung führt in vielen Fällen zu krankheitsbedingten Ausfällen. Alle Bemühungen von einer Vergrößerung der Studienplätze bis hin zu Quer- und Seiteneinstieg werden ins Leere laufen, wenn sich nicht genug Menschen für den Beruf als Lehrkraft entscheiden. Ministerin Feller selbst sagt: „Wir brauchen die Köpfe.“ Dafür muss der Lehrer*innenberuf attraktiv sein! In der aktuellen Situation der steigenden Belastung müssen Entlastungen ins System: Durch mehr Verwaltungsangestellte und Systemadministrator*innen werden Lehrkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben entbunden. Auch dadurch stehen Lehrkräfte wieder stärker für ihre Schüler*innen zur Verfügung: Eine Win-Win-Situation. Richtlinien und Lehrpläne müssen an die gelebte Wirklichkeit angepasst werden, müssen den Krisensituationen gerecht werden: Dem Mangel an Fachkräften und Zeit sowie den Folgen der Corona-Pandemie. Lernen ist mehr als Leistungsüberprüfung. 

Auch mittel- und langfristige Lösungen mitdenken

Auf Vorgriffsstunden zurückzugreifen, übersieht auch die Realität: Lehrkräfte sind hoch flexibel und passen ihre Stunden bereits an, gehen allzu häufig über ihre eigenen Grenzen. Die Frage ist: Welche Entlastungen machen überhaupt möglich, wieder mehr Unterricht zu erteilen? Der Vorschlag der Vorgriffsstunden kann höchstens dann funktionieren, wenn er auf freiwilliger Basis geschieht und vorher der Druck auf das System Schule verringert wird. Wichtiger sind Entlastungen und weitere Maßnahmen: Ein qualitativ guter Seiteneinstieg kann neue Lehrkräfte in das System bringen, ebenso der massive Ausbau von Studienplatzkapazitäten. Dabei ist es dann nicht mit 1.000 zusätzlichen Studienplätzen getan, da nicht jeder Studienplatz auch zu einer ausgebildeten Lehrkraft führt. Instrumente wie Coachings und Unterstützungsnetzwerke während und nach dem Studium können dazu beitragen, dass Studienabbruchquoten verringert werden können. Die Zeiten, in denen gewillte Studierenden vom NC am Lehramtsstudium abgehalten werden, müssen vorbei sein. Daraus muss dann aber folgen, die Studienbedingungen nachhaltig zu verbessern., indem etwa die Lehrenden-Studierenden-Relation angepasst wird. 

Wir brauchen an allen Stellen eine größere Attraktivität, ein Minus an zusätzlichen, nicht-pädagogischen Aufgaben und mehr Qualität und Quantität in der Lehrer*innenausbildung. Das braucht natürlich mehr Investitionen in Bildung. Vor allem aber braucht es den politischen Willen der Landesregierung. Gute Bildung in NRW ist möglich – auch ohne die Beschäftigten für die Lösung politischer Fehler der Vergangenheit bezahlen zu lassen.