Lebhafte Debatten, Abschiede und ein neuer Vorsitz

Rückblick auf den Gewerkschaftstag 2019 der GEW NRW

„Das treibt die Leute auf die Bäume und hinterher haben wir keine Leitern, um sie dort wieder herunterzuholen!“ Die Debatten auf dem Gewerkschaftstag der GEW NRW waren getragen von zündenden Reden, kritischen Fragen und kontroversen Diskussionen. Von 130 Anträgen wurden 60 ausführlich diskutiert sowie ein neuer Vorsitz gewählt.
Lebhafte Debatten, Abschiede und ein neuer Vorsitz

Livezeichnung: Marie Jacobi, visualrecording.de | Foto: Alexander Schneider

Unter dem Motto „Vielfalt bereichert.“ versammelten sich an drei Tagen 400 Delegierte in der Messe Essen. Neben Debatten und Beschlüssen wurden der neue Landesvorstand und eine neue Landesvorsitzende gewählt.

Dorothea Schäfer, die zehn Jahre lang die GEW in NRW als Vorsitzende gestaltet hatte, trat nicht zur Wiederwahl an. Mit mehrfachem, lange anhaltendem Applaus und einem bunten Abendfest verabschiedete sich die Mitglieder und Kolleg*innen der GEW NRW von ihr. An ihre Stelle tritt Maike Finnern, ehemals stellvertretende Landesvorsitzende, die sich mit einer ausführlichen und kämpferischen Rede für den Landesvorsitz empfahl. Das Wahlergebnis zeigte die breite Zustimmung der Delegierten. Zu Stellvertreter*innen wurden ebenfalls mit breiter Zustimmung gewählt die Gesamtschullehrerin Ayla Celik und der Berufskolleglehrer Sebastian Krebs.

Vielfalt gibt es nicht zum Nulltarif

„Vielfalt bereichert“ war auch das Thema des Eröffnungsgesprächs unter der Moderation von WDR-Moderator Helmut Rehmsen. Beteiligt daran waren Dorothea Schäfer, die Vorsitzende des DGB NRW Anja Weber und WDR-Hörfunkjournalist Leo Flamm. Dass Vielfalt bereichert, darin waren sich alle schnell einig und fanden Beispiele aus den unterschiedlichen Lebensbereichen, in denen unterschiedliche Menschen miteinander leben, arbeiten und lernen – und zwar solidarisch, demokratisch, friedlich, von Wertschätzung getragen.

Aber: Vielfalt ist auch belastend, anstrengend und kann Angst machen. Dieser Widerspruch kann nur aufgehoben werden, indem die Gesellschaft die Gelingensbedingungen für gelebte Vielfalt bereitstellt und damit Vielfalt eine Chance gibt. Vielfalt gibt es nicht zum Nulltarif und sie beginnt in den Köpfen der Menschen.

Rechtsextremes Gedankengut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen

Raum nahm in diesem Zusammenhang auch die Frage nach den Ursachen für rassistisches, rechtsextremes, nationalistisches Denken und Handeln ein, das sich gegen Vielfalt richtet. Ökonomische Ungleichheit – viel zu lange ignoriert, Zukunftsängste, aber auch die Rolle der Medien, die allzu oft Ängste schüren und die gesellschaftlich relevante Themen zu wenig aufgreifen, spielen nach Meinung der Gesprächsteilnehmer*innen eine Rolle.

Rechtsextremes Gedankengut ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, darin waren sich alle einig. Der Teufelskreis aus Verschweigen, Ohnmacht und hektischer (Über-)Reaktion müsse durchbrochen werden, meinte der Moderator der Runde.

Pädagogik der Vielfalt in allen Bildungsinstitutionen

Nach diesem gelungenen Einstieg beschlossen die rund 400 Delegierten mit großen Mehrheiten mehrere Anträge, die sich für den Schutz der Menschenrechte gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sowie jegliche Formen der Diskriminierung aussprechen. Vielfalt als Leitmotiv einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft erfordert auch eine Pädagogik der Vielfalt in allen Bildungsinstitutionen.

Forderung an Staatssekretär: Dringender Handlungsbedarf beim Lehrkräftemangel

Als Vertreter der NRW-Landesregierung erschien am zweiten Tag der Staatssekretär aus dem Ministerium für Schule und Bildung Mathias Richter. In seiner Ansprache ließ er kein bildungs- und gewerkschaftspolitisches Thema aus. Aber seine Aussagen konnten die Delegierten naturgemäß nur wenig überzeugen, sodass sich eine ausführliche und kritische Debatte anschloss.

Einig waren sich alle in der Feststellung, dass dringender Handlungsbedarf besteht bei dem eklatanten Mangel an ausgebildeten Lehrer*innen, bei den baulichen Mängeln an den Schulen vor Ort, bei der Ausstattung von Schulen mit zusätzlichen Ressourcen nach Sozialindex und bei einer gerechten einheitlichen Besoldung der Lehrer*inne im Eingangsamt nach A13.

Resolution für NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer

Bei der Umsetzung forderten die Delegierten von der Landesregierung rasches und entschlossenes Handeln. Sie überreichten Staatsekretär Mathias Richter für die Weitergabe an Schulministerin Yvonne Gebauer eine Resolution, in der sie Maßnahmen gegen den Lehrer*innenmangel, die Senkung der Unterrichtsverpflichtung, die Besoldung für alle Lehrkräfte im Einstiegsamt nach A13 Z beziehungsweise EG 13 sowie die Verkleinerung der Klassengrößen fordern.

Lebhafte Debatten zu 60 Anträgen rund um Bildung und Gesellschaft

Rund 130 Anträge standen zur Beratung an aus allen Bereichen der Bildung- und Gewerkschaftspolitik: Arbeitszeit und Arbeitsschutz, Stellenressourcen, Inklusion, Digitalisierung, Soziale Arbeit und Frühkindliche Bildung, Hochschule und Weiterbildung, Tarifpolitik, Organisationsentwicklung sowie Generationendialog. Nach anregenden Debatten wurden rund 60 Anträge beschlossen. Aus Zeitgründen verständigten sich die Delegierten am Ende des Gewerkschaftstags auf rund 40 Anträge, die sie ohne Aussprache mit großer Mehrheit annahmen.

Mobilisierung der Beschäftigten für den Tarifkampf

„Das treibt die Leute auf die Bäume und hinterher haben wir keine Leitern, um sie dort wieder herunterzuholen!“ war zu hören in der Debatte über den richtigen Weg zur Mobilisierung der Beschäftigten für den Tarifkampf. Mit Maximalforderungen heizt man die Erwartungen der Beschäftigten an. Die oft als eher mager wahrgenommen Tarifabschlüsse sind dann manchmal schwer zu vermitteln. Realistische Forderungen sind ehrlicher und besser vermittelbar, so die Diskussionsteilnehmer*innen.

Auf ihrem Gewerkschaftstag hat die GEW NRW einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie eine streitbare, aber auch solidarische Gewerkschaft ist. Streitbar in der Frage der Umsetzung ihrer Politik, solidarisch in ihren Grundüberzeugungen.

Fritz Junkers, nds-Redaktionsleiter