Nun ist es wieder so weit. Alle zwei Jahre könnte man meinen, Tarifgeschichte wiederholt sich doch: Die Arbeitgeber haben – in 2019 nach der zweiten Runde am 6. und 7. Februar – kein annehmbares Angebot vorgelegt. Und wir tarifbeschäftigten Lehrer*innen gehen auf die Straße, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Öffentlichkeit begrüßt „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
Wie bei Arbeitskämpfen in anderen Branchen so geht es auch bei uns nicht nur darum, möglichst viele Kolleg*innen zu mobilisieren, sondern auch darum, die Öffentlichkeit von der Legitimität unserer Forderung nach gerechter Bezahlung zu überzeugen.
In den letzten Jahren sind uns dabei viele Sympathien zuteilgeworden. Die Medien berichteten vielfach positiv von unseren Arbeitskämpfen und die öffentliche Meinung begrüßt weitgehend die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit.
Öffentlichkeit, Eltern und Schüler*innen mitnehmen
Um die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit müssen wir jedoch jedes Mal aufs Neue kämpfen. Dass wir hierbei auch bei den Eltern unserer Schüler*innen für den Unterrichtsausfall um Verständnis bitten, gehört unumstritten dazu, selbst wenn sich der Unterrichtsausfall bisher lediglich im überschaubaren Rahmen der Warnstreiks gehalten hat.
Neutralitätspflicht und Verständnis für Unterrichtsausfall
Auch wenn sich die Schüler*innen oft über Unterrichtsausfall freuen, sollten wir ihnen gegenüber ebenso um Verständnis für den Ausfall der Unterrichtsstunden bitten. Es ist klar, dass hierbei die Neutralitätspflicht eingehalten werden muss. Doch Schüler*innen über den Grund unseres Fehlens oder des Fehlens streikender Kolleg*innen in Kenntnis zu setzen, ist kein indoktrinieren, es ist allein informieren. Das Streikrecht, das wir wahrnehmen, ist schließlich ein Grundrecht und kann im Grundgesetz von denjenigen, die es anzweifeln sollten, nachgeschlagen werden. Und zu glauben, Lehrer*innen seien politische Neutren ist wirklichkeitsfremd.
Tarifverhandlungen und Tarifverträge als Thema im Unterricht
Dass Tarifverträge im Unterricht mehr thematisiert werden sollten, hat selbst die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer im Zuge der Einführung des neuen Fachs „Wirtschaft“ immer wieder betont. Den Lehrer*innen der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer ist das nicht erst jetzt klar und deshalb haben sie schon immer Tarifverträge und deren Aushandlung im Unterricht thematisiert. Gerade Tarifverhandlungen eignen sich schließlich gut, um kontroverse Positionen in der Gesellschaft wie Kaufkrafttheorie versus Schuldenbremse gegenüberzustellen und ethisch-politische Fragestellungen wie „Gibt es einen (un)gerechten Lohn?“ zu erörtern.
Information statt Indoktrination: Mit Schüler*innen Warnstreik besuchen
Selbst, wenn verbeamtete Kolleg*innen mit ihren Lerngruppen einen Unterrichtsgang zu einem Streik unternehmen, um dort zum Beispiel eine sozialwissenschaftliche Befragung der Teilnehmer*innen durchzuführen, stellt dies zunächst einmal genauso wenig eine Indoktrination dar wie der Besuch eines regionalen Unternehmens.
Kontroversitätsgebot aus dem Beutelsbacher Konsens beachten
Es kommt jeweils auf die genaue Ausgestaltung an. Hierzu ist der Beutelsbacher Konsens immer noch der Maßstab und hier insbesondere das Indoktrinationsverbot. Wenn ich den Schüler*innen aber gleichzeitig die Position der Arbeitgeber vermittle und sie in ihrer Urteilsbildung nicht beeinflusse, so wird nicht nur das Kontroversitätsgebot erfüllt, es kann darüber hinaus auch nicht von Indoktrination gesprochen werden.
Im Vergleich: Warnstreik und Unternehmensbesuch
Der politische Zeitgeist versucht allerdings immer dann, wenn Gewerkschaften oder andere progressive Kräften in der Schulwelt auftauchen, uns den Stempel der Indoktrination aufzudrücken. In diese Falle sollten wir nicht tappen. Natürlich sollten die Schüler*innen nicht mit GEW-Fähnchen bekleidet und Trillerpfeifen ausgestattet nach Hause gehen. Aber wenn sie nach dem Besuch eines Unternehmens Präsente desselben mit nach Hause nehmen dürfen und während der Betriebsführung gehört haben, welch hohe Arbeitskosten in einem Unternehmen anfallen, wird das oft nicht so eng gesehen, wie wenn sie einen Streik mal aus der Nähe betrachtet haben oder die Teilnehmer*innen nach ihren Beweggründen fragen.
Unser Arbeitskampf als Thema im Unterricht? Warum nicht!
Stefan Schüller, tarifbeschäftigter Lehrer am Gymnasium