Wie Inklusion gelingen kann

Prof. Dr. Matthias von Saldern zeigt beim Bochumer Kongress, dem Fachkongress für Bildung in NRW am 3. und 4. März 2017, welche Gelingensbedingungen für Inklusion notwendig sind. Er ist Erziehungswissenschaftler und war bis 2014 Professor für Schulpädagogik in Lüneburg. Matthias von Saldern arbeitet unter anderem zu den Themen Inklusion und Organisationsentwicklung.
Wie Inklusion gelingen kann

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Prof. Dr. Matthias von Saldern

Prof. Dr. Matthias von Saldern

Ist NRW in der schulischen Inklusion auf dem richtigen oder dem falschen Weg?

Die Frage provoziert ein Denken, dass mir fern liegt. Wege in neues Terrain entstehen häufig im Gehen und sind selten geradlinig. In der Regel bestehen sie aus Kurven, manchmal sogar aus Rückwärtsbewegungen. So ist es auch beim Thema Inklusion. Die Hauptsache ist, dass NRW diesbezüglich in Bewegung ist. Natürlich gibt es dabei sowohl in der Schulpraxis als auch im politisch-administrativen Raum Licht und Schatten: Es gibt tolle Arbeit an den Schulen, vor der ich den Hut ziehe. Doch es ist falsch, zwei Systeme parallel zu fahren. Das ist ungerecht: Eltern hochbegabter Kinder oder ADHS-Kinder haben kein Recht, zwischen verschiedenen Schularten zu wählen. Zudem werden zu viele Ressourcen durch noch bestehende Förderschulen gebunden.

Wie kann man die Kolleg*innen an den Schulen in der jetzigen Phase unterstützen? Welche Maßnahmen sind erforderlich?

Als Erstes muss den Kolleg*innen, die vor Ort die Inklusion vorantreiben, die verdiente Wertschätzung entgegengebracht werden. Damit meine ich nicht Politiker*innenreden – die durchaus ernst gemeint sein können –, sondern dass das bereits vorhandene Wissen in regionale politische Entscheidungen einbezogen wird.

Die wichtigste Maßnahme wäre es, den Schulen mehr Freiräume zu gewähren. Viel zu häufig wird noch in festen, tradierten Strukturen wie Jahrgangsklassen, starren Klassengrößen und Stundenvorgaben gearbeitet. Zum Vergleich: In Finnland findet circa ein Drittel des Unterrichts nicht im Klassenverband statt. Auch unser Schulsystem muss weicher und flexibler werden, denn neben den zusätzlich notwendigen Ressourcen entlastet dies am meisten. Es kann nicht sein, dass man Inklusion anstrebt und Kinder dann nach der vierten Klasse einteilt. Berlin und Thüringen machen es jetzt mit der Einführung einer Schule von Klasse 1 bis 10 vor. Und auch NRW braucht völlig neue Lösungen – gerade weil es dort immer mehr Kinder mit Förderbedarf gibt. Das sind Systemeffekte, die man offen hinterfragen muss.

Für die einzelne Schule wäre es erforderlich, dass die Förderschullehrkräfte zum Kollegium gehören, also nicht nur abgeordnet sind, und ihre Kompetenz der ganzen Schule zur Verfügung stellen. Dies kann aber nur ein Übergang sein. Wichtig ist es, von den Schüler*innen aus zu denken und zum Beispiel die Lehrer*innenausbildung komplett zu überarbeiten: Wieso noch Förderschullehrer*innen? Ein Förderschwerpunkt als ein „Fach“ anzubieten wäre die Lösung.

Warum nehmen Sie am Bochumer Kongress teil? Was erwarten Sie von der Veranstaltung?

Ich wurde eingeladen. Im Ernst: Ich fühle mich in NRW wohl, die Menschen mit ihrer unvergleichlich ehrlichen und herzlichen Art sind das größte Kapital dieses Bundeslandes. Vom Kongress erwarte ich einen intensiven Austausch. Es entlastet vor Ort ungemein zu wissen, dass andere vor ähnlichen Fragen stehen. Auch ist es gut zu erkennen, dass vielerorts bereits langjährige Erfahrungen mit Integration vorliegen. Abgucken und Abschreiben – sonst in der Schule eher verpönt – können hier ein erfolgversprechender Weg sein. Und es gibt auch egoistische Motive: Ich lerne durch Zuhören sehr viel –  das hilft mir, konzeptionell weiterzudenken.